Text, Foto: Vilsbiburger Zeitung, 24.01.2015 (Georg Soller)

Atomkraftwerke abschalten - und abwarten

Dr. Herbert Barthel bei seinem Vortrag im Gsellnhaus: "Die Energiewende kann nicht das Thema der großen Konzerne sein".

Der Bund Naturschutz vermisst in der Energiedebatte politische Visionen

 

Vilsbiburg. Die deutsche Energiewende galt eine Zeit lang als Blaupause für die Welt. Momentan hat man den Eindruck, dass die Energiewende ins Stocken geraten ist. Was derzeit hinter den Kulissen verhandelt wird, und warum der Klimaschutz nicht überall ganz oben auf der politischen Agenda steht, das erklärte in einem nachdenklich machenden Referat der Spezialist für Energie und Klimaschutz im Bund Naturschutz Bayern, Dr. Herbert Barthel. Er war auf Einladung der Stadt und der BNOrtsgruppe gekommen.

 

Wir leben auf Kosten der kommenden Generationen. Das ist zwar Allgemeingut, aber es scheint niemanden zu stören. Nachdem die amerikanischen Energiekonzerne dank Fracking dazu beigetragen haben, dass die Weltmarktpreise für fossile Energie wieder deutlich gesunken sind, boomen die großen Benzinfresser der Automobilbranche wieder. Dabei ist die Erschließung von Erdöl die Hauptursache des Artenrückgangs weltweit, sagt Barthel. Und in Deutschland, dem einzigen Land der Welt, das tatsächlich eine Energiewende versucht, ist diese Energiewende nach einem vielversprechenden Start ins Stocken geraten.

 

Vilsbiburg: Beispielhaft für Bayern

 

Ein Vorkämpfer für eine Energiewende ist der Bund Naturschutz. „Wir sind diejenigen, die Dinge fordern, die es so heute noch nicht gibt." Der Verband leistet sich sogar ein eigenes Referat für Energie und Klimaschutz, dessen Leiter am Mittwochabend im „Gsellnhaus" seine Erfahrungen darlegte. Seine Position: „Wir müssen das System ändern: Keine Atomenergie mehr, raus aus der fossilen Energie." Und damit das auch funktioniert, müsse diese Wende dezentral angepackt werden: „Die zentralistischen Strukturen haben nicht zu einer zukunftsfähigen Energiewirtschaft geführt", sagte er. Das Energiethema habe eine hohe Bedeutung für den Wohlstand, „also sind wir gut beraten, wenn wir die Herrschaft über die Energiewirtschaft wieder redemokratisieren". In diesem Zusammenhang bezeichnete Barthel die Aktivitäten der Stadt Vilsbiburg als beispielhaft für ganz Bayern.

 

Denn im Rahmen der späteren Diskussion ließ der Referent schon mal durchscheinen, dass die aktuellen politischen Entwicklungen eher darauf abzielen, die kleinen Stadtwerke und Energiegenossenschaften in ihrer Entwicklung zu behindern. Beispiel Stromtrassen-Diskussion: Die öffentliche Debatte wird von dem Argument beherrscht, dass die neuen benötigt werden, um den Windstrom von der Küste in den windarmen Süden zu transportieren, in dem zudem aufgrund von der von der CSU gegen alle Widerstände durchgesetzten 10*H-Regelung wohl auch kaum noch Windkraftanlagen gebaut werden.

 

Das sei aber bei genauem Hinsehen nicht logisch: „Wenn wir davon ausgehen, dass es in Deutschland Konsens ist, die Atomkraftwerke abzuschalten, dann wird deren Kapazität im bestehenden Leitungsnetz frei." Und noch einfacher wäre es, wenn der Strom dort erzeugt würde, wo er benötigt wird: „Dann wäre auch die Wertschöpfung vor Ort."

 

Warum die Stromtrassen tatsächlich gebaut werden sollen, wisse er auch nicht genau, sagte Barthel. Die Energiekonzerne weigern sich, die Grundlagen dieser Trassenplanung überprüfen zu lassen. Er vermute, dass die großen Konzerne auf einen neuen Kapazitätsmarkt warten und die Leitungen dafür als Teil eines europäischen Verbundnetzes dienen sollen: „Es geht sicher mehr um den europäischen Strommarkt als um die Versorgungssicherheit." Dazu berichtete Barthel über die bis März 2015 laufende Diskussion im Bundeswirtschaftsministerium, wie der Strommarkt für die Energiewende aussehen soll. Dabei wird über zwei Modelle gesprochen: Den „Strommarkt 2.0", der auch kleineren Energieerzeugern eine Chance gibt, ihre Energie zu vermarkten, sowie den Kapazitätsmarkt. Bei letzterem bieten vor allem große Erzeuger eine für alle Fälle ausreichende Energiekapazität an. Die Diskussion soll ergeben, ob ein optimierter Strommarkt erwarten lässt, dass ausreichend Kapazitäten für eine sichere Versorgung vorgehalten werden, oder ob dazu zusätzlich ein Kapazitätsmarkt erforderlich ist.

 

Der Referent zeigte gleichzeitig auf, dass in der Energiepolitik natürlich auch regionale Interessen mitspielen. Denn aus Gründen des Klimaschutzes müssten dank der neuen Windkraftanlagen zuerst die alten Braunkohle-Verstromungsanlagen abgeschaltet werden. Aber die oft SPD-regierten Länder, in denen der Kohleabbau von Bedeutung ist, wollen die Kohlekraftwerke weiterlaufen lassen.

 

Die Effizienz erhöhen

 

Der Bund Naturschutz plädiert energiepolitisch für einen Dreisprung: Energie sparen, die Effizienz des Energieeinsatzes erhöhen und Strom aus regenerativen Quellen erzeugen. Allein aufgrund der ersten beiden Schritte, so eine BNStudie, ließe sich in Bayern der Stromverbrauch um etwa 40 Prozent senken. Das offizielle Energiesparziel der Staatsregierung lautet Barthel zufolge: 0 Prozent. Das gehe in Bayern nicht, zitierte der spürbar konsternierte BN-Referent aus einer Sitzung im bayerischen Energiedialog, weshalb die BN-Vorschläge dort als unrealistisch bezeichnet worden seien. „Das bayerische Wirtschaftsministerium ist traditionell neoliberal ausgerichtet", merkte der Referent an, und er habe den Eindruck, „selbst wenn es die Wirtschaftsministerin die Energiewende ernsthaft wollte, der Apparat dahinter will sie nicht."

 

Und so müsse man den Eindruck gewinnen, dass die bayerische Staatsregierung sage: „Wir schalten die Atomkraftwerke ab, aber für einen Ausgleich machen wir nichts." Es gebe zwar viele Möglichkeiten, so der Energiereferent, „aber nachdem in den letzten Jahren nichts passiert ist, steht zu erwarten, dass auch in den nächsten Jahren nichts passieren wird."

 

Barthels Fazit: Die Energiewende kann nicht das Thema der großen Konzerne in Europa sein. Eher im Gegenteil. Aber ein zentralistisch gesteuerter Energiemarkt agiert nicht nachhaltig. „Was wir brauchen, ist ein schlüssiges Konzept, aber es fehlt an politischen Visionen", sagte er.

 

In seinem etwa einstündigen, mit vielen Daten gespickten Vortrag ging Herbert Barthel auch auf andere Themen ein: Er erläuterte, warum der Emissionshandel unwirksam ist und dass die große Koalition explizit nichts dagegen unternehmen will. Er bezeichnete die Biomasse als mögliche Form der Energiespeicherung, die jedoch in ihrer heutigen Art des Betriebs problematisch sei: Viele Anlagen sind nur auf die Stromerzeugung ausgerichtet und lassen die entstehende Wärme verpuffen. Besonders kritisch war sein Blick auf die Wasserenergie: Hier sind bereits 85 Prozent der Kapazitäten ausgeschöpft, und jedes große Wasserkraftwerk sei ein Desaster für das Leben im Fluss.

 

Sehr fortschrittlich war Bayern mit seiner Regionalplanung in Sachen Windenergie: „Darum haben uns andere Länder beneidet." Seit dem 21. November ist das vorbei: Das für eine Windenergienutzung geeignete eine Prozent der Landesfläche ist durch die 10*H-Regelung auf 0,05 Prozent geschrumpft.